So eine Arbeit wird eigentlich nie fertig, man muß sie für fertig erklären, wenn man nach Zeit und Umständen das Möglichste gethan hat.
Goethe
Dass dieser Mann bei seinen Worten je an ein Mundart-Wörterbuch gedacht hat, ist eher unwahrscheinlich, aber dass er mit seinen Sätzen genau ins Schwarze traf, kann man getrost annehmen.
Dieses Schärdinger Wörterbuch hat den Sinn und den Anspruch, die gesprochenen Dialektwörter unserer Region zu erfassen, zu sammeln, auf diesem Weg weiterzugeben, und somit beizutragen,
dass diese unsere Mundart, oder wenigstens Teile davon, vielleicht auch nur einzelne Wörter, weiterleben und nicht verschwinden.
Die Beschäftigung mit Menschen und der Versuch einer Inventur ihrer Sprache sind einerseits immer nur eine Momentaufnahme des aktuellen Wortbestandes, aber andererseits auch eine Zeitreise, die oft sehr weit in die Vergangenheit zurückreicht, manchmal bis in die Anfänge unserer Kommunikation. Wörter und deren regionale und temporäre Veränderungen in Aussprache und Schreibweise bilden emotionale, soziale und politische Realitäten, Befindlichkeiten und Phantasien der Menschen sehr exakt ab, und gewähren somit tiefe Einblicke in deren Lebenszusammenhänge.
Die Sprache als Hauptinstrumentarium menschlicher Kommunikation unterliegt ständigem Wechsel. Dieses Chamäleon verwandelt sich schier täglich. Wörter entstehen neu, veralten, werden wieder vergessen, verschwinden langsam oder rasch, verändern ihre Bedeutung, können wiederentdeckt, (neu) übernommen werden, fristen manchmal ein kümmerliches Dasein am Rande, sind plötzlich wieder ‚dick da‘, unterliegen Moden, lautlichen Ein- und Verfärbungen. Worte, Wörter sind Mitteilungen, Benennungen, Beschreibungen aller Gegenstände, sie kennzeichnen jede denk- und fühlbare Facette und jedes Phänomen menschlichen Daseins. Sie haben ihren Ursprung, ihre Unterschiedlichkeit in Tatsachen wie Herkunft, Bildung, Beruf, Arbeit, Familie, Beziehungen, Freud und Leid, Hoffnung und Enttäuschung, Zerstörung und Tod.
Verbale Interaktionen ermöglichen uns auf breiter Ebene vielfältige Beziehungen mit anderen Menschen herzustellen und stellen einen, wenn nicht den Hauptbestandteil menschlichen Wesens dar. Wir beschreiben mit Worten, je nach Interessenslage, unsere Befindlichkeiten und Zustände manchmal sehr treffend, manchmal sehr vage, manchmal bewusst und frei, manchmal unbewusst und beeinträchtigt. Wir haben in der verbalen Kommunikation so viele Möglichkeiten uns offen zu zeigen, oder uns auch wortreich verschließen zu können. Worte und Wörter drücken unser Wesen, unser Wollen, unsere Ansichten aus. Sie können stockend oder fließend daherkommen, sie können, wie eben der Mensch dahinter zu sein scheint, grob, derb, feinfühlend, liebevoll, informativ, nichts sagend und noch so vieles mehr sein. Als hörbarer und wortwörtlicher ‚Ausdruck‘ der jeweiligen Sprecherinnen und Sprecher, entziehen sich Wörter, die somatisch gesehen, ‚nur‘ Bildungen von Kehlkopf, Gaumen, Zunge, Lippen samt Luftstrom sind, oft einer versuchten Zuordnung.
Wie auch die Menschen, die sie entstehen lassen, tauchen Wörter oftmals in neuen, in überraschenden Variationen auf. Genau wie sie sind sie manchmal unverständlich, nebulos, nicht der Rede wert, dann aber wieder bedeutsam, wichtig, richtig und klar. Selbst Worte, die nicht ehrlich gemeint sind, auch Sätze, die eindeutig neben den Tatsachen anzusiedeln sind, sprechen Bände. Genauso wie jede noch so kristallklare Wahrheit sind sie aussagekräftiger Teil von uns. Vor allem sind sie immer eins, nämlich ein Spiegelbild der aktuellen emotionalen Befindlichkeit, der jeweiligen Tagesverfassung, der sozialen und politischen Umstände, in denen wir gegenwärtig leben, von denen wir einerseits abhängig sind, und auf die wir andererseits in gleicher Weise ständig einwirken.
Wörter, Worte und deren Vorläufer, die Gedanken stehen immer am Anfang allen Tun und Lassens. Sie werden ausgesprochen und entfalten ihre stete Wirkung. Eine Wirkung, die manchmal (unmerklich) verpufft, aber auch an so mancher Stelle ein kleines bisschen, an einem anderen Ort sehr viel und manchmal ‚alles und jedes‘ verändern kann. So gesehen setzt für mich das Interesse an der Sprache, an den Wörtern natürlich ein massives Interesse am (Mit-)Menschen generell voraus, an seinen psychischen und sozialhistorischen Lebenszusammenhängen. Dennoch ist es wahrlich ein weiter Weg vom Interesse an den Menschen, an ihrer Sprache, von einem langsamen Erfassen des Reichtums der Vielfalt und Schönheit von Wörtern und Sätzen bis hin zum Schreiben eines Wörterbuchs.
Zeitlebens war ich angetan, fasziniert, enttäuscht, überrascht, traurig und erfreut, was gesprochene, geschriebene Worte anrichten, ausrichten und bewirken können. Schon kleinste
Variablen in Betonung oder in Auswahl eines Wortes können vieles, oft alles verändern. Welch Glücksgefühle, welch Leid sie nicht auslösen können! Nicht nur die folgenschweren Worte bei
außergewöhnlichen Anlässen, im Liebestaumel, bei Trauerreden, ex cathedra von Pult oder Kanzel, sondern auch, und vor allem jene der zwischenmenschlichen, der unmittelbaren Kommunikation.
Ausgesprochen vom Nachbarn, vom Chef, der Mutter, den Kindern, der Freundin gehen sie bei einem Ohr hinein, beim anderen wieder hinaus, geben sie uns zu denken, sind sie Anlass zu
Hoffnung und Freude und begleiten uns manchmal ein Leben lang. All diese alltäglichen, und deswegen immens wichtigen Worte werden jedoch meist nicht in druckreifem Standarddeutsch, wie in
Schule, Vortrag oder Kirche gehalten, sondern sie werden in der heimatlich-vertrauten Mundart an uns gerichtet.
Zu diesen grundsätzlichen Annahmen und dem immer größer werdendem Interesse gesellte sich bei mir bald die Neugier hinzu, was denn feigln, urassn, was trawë,
knaschtë eigentlich bedeuten, was dë Bletschn, dë Klussn oder was a Soidl, a Kloiffë denn wohl sind, und vor allem, woher kommt diese Worte, was haben sie
ursprünglich bedeutet, und haben sie sich und in welcher Weise verändert? Es entstanden zarte Anfänge einer sehr amateurhaften Zettelwirtschaft. Natürlich erst im fortgeschrittenen Alter,
da ich behaupte, ein Wörterbuch kann man nicht im Alter von 25 schreiben. Durch parallele Beschäftigungen mit Fachliteratur, mit Dissertationen, wie die von Alois Brandstätter und Helga
Ebner-Hiermannseder, mit bereits bestehenden Wörterbüchern aus anderen Sprachlandschaften wuchs der Umfang meiner Sammlung immer mehr und mehr, und sowohl die Begeisterung als auch der
Wunsch und der Anspruch, etwas Ähnliches für ‚meinen‘ Sprachraum zu schaffen, wurden immer größer und größer. Schön langsam kam Struktur in die ‚Geschichte‘, auch durch die
Ratschläge von Prof. Scheuringer von der Uni Wien und ganz besonders durch diejenigen von Mag. Gaisbauer vom Stifterhaus in Linz und von Karl Stutz, meinem jahrelangen Wunsch-Verleger aus
Passau, der es dann leider aber doch nicht werden sollte.
Durch viele Gespräche mit diesen Experten bekam ich erst schön langsam eine Ahnung, was ein Wörterbuch ist, wie es ausschauen soll, und was es alles ‚können‘ muss. Die Jahre vergingen und irgendwann war ich dann mit dem, was da jetzt vor mir liegt, so halbwegs zufrieden. Dass das ganze Konvolut aber in der Zwischenzeit den heutigen, mächtigen Umfang erreichen würde, das war allerdings so nicht geplant, und bereitet mir, ehrlich gesagt, heute noch so manches Kopfzerbrechen, vor allem unter dem Aspekt, wann das Ganze denn einmal fertig sein wird, und die schönen Worte Zwëschn, zwida und Zwutschkal am Seitenhorizont auftauchen werden. Doch unverdrossen bin ich der Meinung, und wurde darin auch oftmals durch Fachleute bestärkt, dass alle von Ihnen und Dir und alle von mir ausgesprochenen Wörter Aufnahme in diesem Wörterbuch finden sollen. Keines der Wörter darf a Stiaf-kid sein und alle sollen Erwähnung finden. Als Ausschließungsgrund lasse ich nur Fremd- und klar erkennbare zusammengesetzte Wörter gelten, wie etwa ‚Punktelieferant, Hochspannungsleitung, Warteschleife‘.
So wird mein opus magnum sein Ende mit Wörtern wie der bereits erwähnten Zwëschn, dem Zwoifë-laitn und dem zwuzln etwas später als ursprünglich vorgesehen erreichen, aber trotzdem, leider oder logischerweise, immer noch nicht ganz vollständig sein, weil, ....
siehe einleitendes Goethe-Zitat